WESER-KURIER 17. August 2022
„EINE WELT VOLLER PERLEN“
Von Anke VELTEN
Die Perlerie im Schnoor ist das Eldorado für alle, die für die Faszination kleiner Preziosen empfänglich sind. Mehr als 5000 Varianten sind hier auf Lager, in allen denkbaren Farben, Formen und Materialien, und einige davon wird man nirgendwo anders finden. Seit 35 Jahren handelt Inhaber Andreas Kroll mit Schmuckperlen. Er hat in diesen Jahren eine Auswahl angesammelt, die ihresgleichen sucht. Und ein Wissen über die Geschichte, die Produktionstechniken und die Varianten angehäuft, die er nur zu gerne mit seiner Kundschaft teilt. Für außergewöhnliche Stücke und antike Raritäten bereiste er die halbe Welt - und fand dabei auch noch die große Liebe.
Das Geschäft ist außer an einer Handvoll Feiertagen täglich geöffnet. Touristen kommen, staunen und kaufen ein - nicht nur Perlen und Zubehör zum Selbermachen, sondern auch die Ketten, Armbänder und Ohrringe aus eigener Herstellung. „Eine Kundin aus Süddeutschland kauft jedes Mal Schmuck für mehrere Hundert Euro“, erzählt Kroll. „Sie sagt: Zu Hause müsste ich dafür das Dreifache zahlen.“ Kinder suchen hier sorgfältig jedes einzelne Perlchen aus, das zu Hause zum Geburtstags- oder Muttertagsgeschenk eingefädelt wird. Junge Mädchen fertigen Designs nach Youtube-Anleitungen.
Kroll erzählt von der älteren Dame, die aus Rocailles - winzigsten Glasperlchen - beeindruckende Motive stickt. Auch Modellbauer haben die Perlerie für sich entdeckt, weil sie hier klitzekleine Perlen aus Metall oder Holz für die letzten filigranen Details ihrer Kreationen finden. Bei den modebewussten Kundinnen seien die pastelligen Glaswürfelchen aus Böhmen beliebt, und zurzeit besonders die italienischen Polaris-Perlen aus Acryl, die aussehen wie von Sand und Salzwasser mattierte Murmeln. Indische Glasmacher fertigen Perlen in Lampenwickeltechnik. Die Funkelsteine mit den perfekten Facetten produziere die österreichische Firma Swarowski, sagt der 54-jährige.
Zu Krolls Stammkundschaft zählen auch Sammlerinnen und Sammler aus ganz Deutschland und sogar aus Frankreich, Italien und Belgien, die sich auf antike Exemplare spezialisiert haben. Der Kunde aus München zum Beispiel, der dem Geschäft seit zwanzig Jahren treu sei, „Vor jedem Besuch in Bremen ruft er an und fragt: Hast du wieder etwas Schönes für mich?" Das könnte dann zum Beispiel eine der fast 200 Jahre alten Murano-Perlen in der typischen Millefiori-Technik sein, wie Kroll sie selbst um den Hals trägt. Oder eine der sehr seltenen Kiffa-Perlen aus Mauretanien.
Die Sammlergemeinde weiß: Die Perlerie pflegt beste Beziehungen nach Afrika, wo sich solche Raritäten finden lassen. Sie sind ein Relikt der Vergangenheit, als findige Kaufleute entdeckten, dass sich die europäischen Glasperlen vorzüglich als Tauschobjekte eigneten, erklärt Kroll. Sie ließen sie in großer Stil herstellen - zwar in großer Handwerkskunst, aber dennoch zu günstigem Einkaufspreis -, um damit auf einen profitablen Shopping-Trip zu gehen.
Es war auf einer seiner frühen Reisen nach Togo, als Kroll seine Essi kennenlernte, die sich als Dolmetscherin zwischen dem Französischen und den Stammessprachen anbot. Der Bremer kehrte mit einem Schiffscontainer voller Perlen nach Hause und hinterließ eine Einladung. Essi kam, es gefiel ihr, sie kam wieder, 2004 wurde geheiratet. Über die Mission des Deutschen habe sie sich zunächst amüsiert, erzählt Essi Kroll: „ Ich dachte: Perlen? Das interessiert doch niemanden!“
Doch auch sie ließ sich von der Faszination für die Materie anstecken. Das Geschäft hat von der Ehe sichtlich profitiert. Die Ehefrau sei nicht nur die talentiertere Schmuckdesignerin, lobt Andreas Kroll: „sie hat ein Händchen für Farben!“ Sie besitzt auch eine über mehrere afrikanische Länder verzweigte Familie von Künstlern und Kunsthandwerkern, die die Perlerie mit ihren Kreationen beliefern. Ein Schwager schnitzt Skulpturen aus Ebenholz und fertigt aus kleinsten Resten kunstvolle Perlen, die mit einer silberfarbenen Intarsienarbeit veredelt sind. Das Metall schneidet er aus Coca-Cola-Dosen: Eine Symbiose der Kontinente und Kulturen, Upcyeling der kunstvollsten Art. „So etwas gibt's nirgendwo anders”, sagt Kroll. Familienmitglieder fertigen auf traditionelle Weise auch die Bronzeperlen nach antiken Vorbildern, flechten die Körbe und batiken die Tücher im Sortiment.
Die Geschichte der Perlerie beginnt mit einer Zufallsbegegnung im Jahr 1988, und sie nahm ihren Anfang in Paris. „Eine Freundin hatte einen Flohmarktstand und sagte: Komm doch heute mal mit“, erzählt Kroll. Sein Auge fiel dabei aber vor allem auf den Nachbarstand, um den sich die Kundschaft versammelte wie die Motten ums Licht: Madame verkaufte Perlen. Man kam ins Gespräch und in Kontakt, traf sich danach zum Kaffee und Austausch. Der junge Bremer, gelernter Werkzeugmacher, war damals schon an den Wochenenden mit einem Stand auf Kunsthandwerkermärkten, Stadtfesten und Festivals unterwegs, um selbstgefertigte Accessoires aus Metall feilzubieten. Nach dem denkwürdigen Flohmarktbesuch nahm er auch Perlen ins Sortiment.
1992 ergab sich die Chance, sesshaft zu werden: In der Brunnenstraße wurde ein Ladengeschäft frei. Der Umsatz war anfangs hervorragend - und wurde dann von Monat zu Monat schlechter. Irgendwann hatte sich die perlenäffine Kundschaft der Umgebung mit ausreichend Material versorgt. „Perlen sind kein Brot, das man jede Woche frisch einkaufen muss“, erklärt er. „Aber um die Ladenmiete hereinzuholen brauchst du viele frische Leute“. Dann hörte er von dem Leerstand am Stavendamm, eine exklusive Kunstgalerie hatte dort vor Monaten geschlossen: „Ich dachte mir : Besser als im Viertel könnte das sein“, sagt Kroll. Auf einen langfristigen Mietvertrag wollte er sich sicherheitshalber nicht einlassen, bearbeitete den Vermieter so lange, bis sich dieser mit einem Ein-Jahres-Vertrag begnügte. Das war vor dreißig Jahren.
Wer in den Schnoor kommt, hat Urlaub, ist auf der Reise oder gönnt sich eine Auszeit vom Alltag. Hier erlaubt man sich das gemütliche Schlendern und Stöbern. Einen besseren Standort hätte die Perlerie nicht finden können. „Wo man es eilig hat, könnte dieser Alden nicht funktionieren“ erklärt der Perlenspezialist. „Im Schnoor haben die Leute Zeit.“
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